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Die übliche Diät beeinflusst die Mikrobiota im Darm. Bei Diätprodukten zur Kontrolle des Gewichts gibt das Lebensmittelgesetz den Gehalt vieler Nährstoffe vor, aber nicht im Falle der Nahrungsfasern. Wie beeinflusst ein solches Produkt mit moderaten Mengen an Nahrungsfasern die Mikrobiota im Darm, die auf die Nahrungsfasern angewiesen sind? 

Die Physiologie entdeckt die Mikrobiota

Der Physiologe Tiedemann und der Chemiker Gmelin veröffentlichen im Jahr 1823 ein knapp 700-seitiges Werk über die Verdauung. Sie beschreiben darin minutiös ihre unzähligen Versuche am Menschen und an vielen Tieren. Die Darmbakterien erwähnen sie dabei aber nicht, auch nicht in der acht Jahre später erscheinenden, zweiten Ausgabe ihres Werkes 1,2. Der Pathologe Frerichs erwähnt hingegen in seinem Kapitel zur Verdauung in einem Wörterbuch zur Physiologie aus dem Jahr 1846 die im Darm residierenden Mikroorganismen, vermutlich zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte. Frerichs schliesst seine Abhandlung mit einem Abschnitt zur Pilzbildung im Verdauungskanal und hält fest:

«Die Entwicklung selbständiger Individuen pflanzlicher oder thierischer Art gehört zu den Erscheinungen, von welchen die Umsetzungsprocesse im Darmcanal sehr oft begleitet werden. Dieselben können in allen Theilen der Digestionsorgane vorkommen und fehlen nur selten gänzlich. Ihre Bedeutung ist im Allgemeinen eine geringe; sie greifen weder störend, noch fördernd in die digestiven Processe ein…» 3.

Die Interpretation von Frerichs ist nicht korrekt, aber die Lokalisierung der residenten Mikroorganismen hat er richtig erkannt. In den 1860er-Jahren nimmt dann die Forschung zu den «Bakterien im Darm» langsam Fahrt auf, sie erfolgt aber lange nur auf Sparflamme 4,5. Einen regelrechten Aufschwung und schon fast eine Revolution erlebt sie hingegen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren.

Aus der Bakterienflora werden die Mikrobiota

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spricht man von den im Darm residierenden Keimen als Bakterien- oder Darmflora 6. Die Darmflora hat sich bis heute als Begriff gehalten, dies ist aber zu korrigieren. Denn die Mikroorganismen im Darm gehören biologisch nicht zu den Pflanzen.

In der Fachliteratur benutzt man für die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm praktisch nur noch zwei Begriffe: Mikrobiom und Mikrobiota. Während Mikrobiota klar als Mikroorganismen [d. h. Bakterien, Pilze und Viren], die in einem Ökosystem oder definierten Raum leben» definiert sind, gibt es für das Mikrobiom leider unterschiedliche Definitionen 7. Diese reichen vom «genetischen Material aller Mikrobiota», analog dem menschlichen Genom, bis hin zur identischen Definition wie diejenige der Mikrobiota. Wenn man auf die Mikroorganismen als lebende Einheiten Bezug nimmt, ist somit «Mikrobiota» immer eine eindeutige und richtige Bezeichnung. Bei «Mikrobiom» ist hingegen zurzeit unklar, was gemeint ist, und man muss dies aus dem jeweiligen Kontext herauslesen.

Kein Zweifel: Die Mikrobiota im Darm wirken

Die Forschung der letzten Jahre widerlegt jedenfalls Frerichs Interpretation zu den Mikrobiota und zeigt, dass die Darmmikrobiota für den Erhalt der Gesundheit und das Entstehen diverser Krankheiten eine zentrale Rolle spielen 8. Und auch wenn ihre Bezeichnung nicht klar definiert ist und die zugrunde liegenden Wirkungsmechanismen noch lange nicht alle aufgeklärt sind, so ist eines bereits sicher: Der Mensch sollte sich um seine Mikrobiota kümmern.

Kalorienreduzierte Ernährung

Gesetzlich geregelte Zusammensetzung

In Europa und in der Schweiz sind Ernährungsprodukte zur Kontrolle des Gewichts gesetzlich geregelt, sofern sie kommerziell vertrieben werden. Diese Produkte heissen dann von Gesetzes wegen «Tagesration für gewichtskontrollierende Ernährung» und dürfen den Hinweis «sehr kalorienarme Ernährung» bzw. Very Low-Calorie Diet tragen, wenn sie zwischen 600 und weniger als 800 kcal pro Tag enthalten (der Hinweis «kalorienarme Ernährung» ist hingegen bei einem Kaloriengehalt zwischen 800 und 1200 kcal pro Tag zulässig) 9,10. In der Forschung gibt es dagegen keine eindeutige Definition einer Very Low-Calorie Diet.

Neben dem vorgeschriebenen Kaloriengehalt sind bei einer kommerziellen Very Low-Calorie Diet auch die Gehalte der essenziellen Nährstoffe von Gesetzes wegen vorgeschrieben. Der Grundsatz ist dabei, dass eine Tagesration 100 Prozent der empfohlenen Zufuhr aller essenziellen Nährstoffe abdeckt (d.h. Vitamine, Mineralstoffe, essenzielle Fettsäuren und essenzielle Aminosäuren).

Ausnahme Nahrungsfasern

Bezüglich Nahrungsfasern macht das Gesetz aber keine Vorgaben zu ihrem Gehalt. Es schreibt einzig vor: «Falls dem Erzeugnis keine Nahrungsfasern zugesetzt wurden, [ist] ein Hinweis [anzugeben], dass der Rat einer Gesundheitsfachperson dazu einzuholen ist, ob dem Erzeugnis Ballaststoffe zugesetzt werden können». Somit kann eine Very Low-Calorie Diet Nahrungsfasern enthalten, dies ist jedoch nicht zwingend. Nahrungsfasern sind aber mit grosser Wahrscheinlichkeit eine zentrale Futterquelle für die Darmmikrobiota 11,12. Ein tiefer Gehalt oder ihr gänzliches Fehlen in Tagesrationen ist daher keine gute Idee (ausser es liegen spezielle Indikationen vor, die eine geringe Zufuhr an Nahrungsfasern erfordern).

Very Low-Calorie Diet und die Mikrobiota

Die Studie

Kürzlich wurden an der Charité in Berlin die Auswirkungen einer Very Low-Calorie Diet auf die Mikrobiota im Darm untersucht. Es kam eine kommerziell erhältliche Very Low-Calorie Diet zum Einsatz und insgesamt nahmen 80 postmenopausale, übergewichtige oder adipöse Frauen an der Studie teil 13. Die eine Hälfte erhielt die Very Low-Calorie Diet und die andere Hälfte musste «nur» ihr Gewicht stabilisieren, erhielt aber dafür entsprechende fachliche Unterstützung. Die Verteilung auf die eine oder andere Gruppe erfolgte zufällig. Die Very Low-Calorie Diet dauerte acht Wochen. Anschliessend folgten vier weitere Wochen mit gemässigter Kalorienreduktion, ergänzt mit 10 000 Schritten pro Tag als körperliche Aktivität, und abgeschlossen wurde die Intervention mit vier Wochen an Gewichtserhalt mit einer Ernährung gemäss üblichen Empfehlungen. Neben einer ganzen Palette an Stoffwechselparametern wurden vor, nach acht und zwölf sowie am Ende der 16 Wochen dauernden Intervention auch Stuhlproben analysiert. Der Gehalt an Nahrungsfasern in der Very Low-Calorie Diet wurde nicht erwähnt (dürfte aber gemäss Angaben des Herstellers des kommerziellen Produkts um die 15 Gramm gewesen sein).

Die Ergebnisse

Die Gewichtsreduktion am Ende der Very Low-Calorie Diet betrug etwa zehn Prozent (was etwas weniger als zehn Kilogramm entsprach). Gleichzeitig verbesserte sich die Insulinsensitivität sowie die Verwertung des Blutzuckers 14. Aber: Diese Diät beeinflusst die Mikrobiota. Sie führte zu einer markanten Reduktion der Vielfalt der Mikrobiota und zu einer Veränderung ihrer Kapazität, Stoffe zu verwerten. Auffällig war die Abnahme der Fähigkeit, pflanzliche Kohlenhydrate abzubauen (inklusive Nahrungsfasern). Parallel dazu gab es einen markanten Anstieg eines krankheitsfördernden Bakteriums, vermutlich weil als Folge der Very Low-Calorie Diet die Hemmung seines Wachstums zurückging. Inwiefern die Kalorienreduktion oder die Nahrungsfasern für die Auswirkungen auf die Mikrobiota verantwortlich waren, lässt sich nicht bestimmen.

Zwiespältige Beurteilung

Die Vielfalt an Mikrobiota gilt oft als Merkmal des Darm-Ökosystems, das mit einem gesunden Lebensstil einhergeht 15. Entsprechend sieht man bei verschiedenen Erkrankungen oft eine geringere Vielfalt an Mikrobiota und man stuft daher einen Rückgang ihrer Vielfalt als unvorteilhaften Prozess ein 16. Die Ergebnisse der Berliner Studie sind daher zwiespältig. Von Vorteil sind die Auswirkungen auf Körpergewicht und Stoffwechsel der Kohlenhydrate, unerwünscht hingegen die Folgen der Very Low-Calorie Diet auf die Mikrobiota.

Fazit

Insgesamt zeigen die Ergebnisse ein erneutes Mal unmissverständlich auf, dass wir allein durch die Veränderung der Ernährung unsere Haustiere oder Mitbewohnenden im Darm in kurzer Zeit in einen ungünstigeren Zustand versetzen können. Es ist daher sicherlich eine clevere Sache, wenn wir uns aktiv um unsere Mikrobiota kümmern. Ein sinnvoller Ansatz ist, auf ihre Fütterung zu achten. Den Nahrungsfasern einen prominenten Platz auf den täglichen Speiseplan zu verschaffen, ist dabei ein guter Start. Und bei den Tagesrationen wäre es bestimmt kein Nachteil, wenn sie neben den essenziellen Nährstoffen auch eine definierte Menge an Futter für die Mikrobiota enthalten würden.

Quellen

  1. Tiedmann F, Gmelin L. Die Verdauung nach Versuchen. Erster Band. Heidleberg und Leipzig: Karl Gloor, 1831.
  2. Tiedmann F, Gmelin L. Die Verdauung nach Versuchen. Zweiter Band. Heidleberg und Leipzig: Karl Gloor, 1831.
  3. Frerichs FT. Die Verdauung. In: Wagner R (Hrsg.). Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf physiologische Pathologie. Braunschweig: Vieweg, 1846, pp. 658–872.
  4. Farré-Maduell E, Casals-Pascual C. The origins of gut microbiome research in Europe: From Escherich to Nissle. Hum.Microbiome J. 2019; 14:100065; doi:10.1016/j.humic.2019.100065.
  5. Prescott SL. History of medicine: Origin of the term microbiome and why it matters. Hum.Microbiome J. 2017; 4:24–5; doi:10.1016/j.humic.2017.05.004.
  6. van der Reis V. Die Bakterienflora des menschlichen Darmkanals. Klin.Wochenschr. 1922; 1:1565–8.
  7. Berg G, Rybakova D, Fischer D, Cernava T, Vergès M-CC, Charles T et al. Microbiome definition re-visited: old concepts and new challenges. Microbiome. 2020; 8:103; doi:10.1186/s40168-020-00875-0.
  8. Fan Y, Pedersen O. Gut microbiota in human metabolic health and disease. Nat.Rev.Microbiol. 2021; 19:55–71; doi:10.1038/s41579-020-0433-9.
  9. Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Departement des Innern (EDI). Verordnung des EDI über Lebensmittel für Personen mit besonderem Ernährungsbedarf (VLBE) vom 16. Dezember 2016 (Stand am 1. Mai 2021), 2021.
  10. Europäisches Kommission. Delegierte Verordnung (EU) 2017/1798 der Kommission vom 2. Juni 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der besonderen Zusammensetzungs- und Informationsanforderungen an Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung. 7.10.2017. Amtsblatt der Europäischen Union, pp. 2–10, 2017.
  11. Myhrstad MCW, Tunsjø H, Charnock C, Telle-Hansen VH. Dietary fiber, gut microbiota, and metabolic regulation-Current status in human randomized trials. Nutrients. 2020; 12:859; doi:10.3390/nu12030859.
  12. Makki K, Deehan EC, Walter J, Bäckhed F. The impact of dietary fiber on gut microbiota in host health and disease. Cell Host Microbe. 2018; 23:705–15; doi:10.1016/j.chom.2018.05.012.
  13. Schwartzenberg RJ von, Bisanz JE, Lyalina S, Spanogiannopoulos P, Ang QY, Cai J et al. Caloric restriction disrupts the microbiota and colonization resistance. Nature. 2021; 595:272–7; doi:10.1038/s41586-021-03663-4.
  14. Spranger L, Bredow J, Zeitz U, Grittner U, Boschmann M, Dickmann S et al. Thrifty energy phenotype predicts weight regain – results of a randomized controlled trial. medRxiv. 2021; Preprint; doi:10.1101/2021.03.25.21254300.
  15. Manor O, Dai CL, Kornilov SA, Smith B, Price ND, Lovejoy JC et al. Health and disease markers correlate with gut microbiome composition across thousands of people. Nat.Commun. 2020; 11:5206; doi:10.1038/s41467-020-18871-1.
  16. Rinninella E, Raoul P, Cintoni M, Franceschi F, Miggiano GAD, Gasbarrini A et al. What is the healthy gut microbiota composition? A changing ecosystem across age, environment, diet, and diseases. Microorganisms. 2019; 7:14; doi:10.3390/microorganisms7010014.

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