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Name und berufliche Position

Dr. sc. nat. ETH Zürich Paolo Colombani, Wissenschaftler an der Schnittstelle Lebensmittel, Ernährung und körperliche Aktivität, seit mehr als 20 Jahren beratend aktiv.

Ich bin…

für viele vermutlich ein Exot unter den Wissenschaftlern. Ernährungsfachleute sehe mich als «Sporternährer», Sportfachleute als «Ernährungsberater» und Leute aus dem Lebensmittelbereich können mich nicht richtig einordnen. Aber das ist gut so. Es geht um das gesunde Leben und Healthy Living beinhaltet viele verschiedene Aspekte, die integrativ zu betrachten sind.

Im Endeffekt bin ich ein waschechter Wissenschaftler, der täglich und systematisch die originale Fachliteratur selbständig erforscht, diese für sich verdaut und wenn die entsprechenden Erkenntnisse biologisch plausibel sind, diese in den gesamten Kontext des Healthy Living setzt.

In der Tat exotisch ist aber meine Gepflogenheit, die gesamte geschichtliche Entwicklung zu einem Aspekt zu durchleuchten. Ich bin überzeugt davon, dass man nur mit Kenntnis der Historie versteht, weshalb in diversen Bereichen des Healthy Livings immer wieder kuriose Empfehlungen kursieren, die nicht der aktuellen fachlichen Evidenz entsprechen.

Weltweit existieren die verschiedensten Empfehlungen bezüglich gesunder Ernährung. Welche dieser Empfehlungen setzen Sie im Alltag um (z. B. fünf Portionen Gemüse und Früchte, wenig Zucker)?

In erster Linie esse ich Lebensmittel, generell mediterran, aber natürlich auch saisonal und regional. So landen Tomaten aus dem eigenen Garten genauso auf meinem Teller wie Bio-Eier aus Trimmstein oder Worber Joghurt. Und essen tue ich so oder so nur das, was mir schmeckt.

Die Lebensmittelwahl steuere ich aber durchaus aufgrund meines Know-hows, das ich aus der Fachliteratur gewinne. Zentraler Aspekt ist dabei die Evolution. Es gibt definitiv Gründe, weshalb ein Tier oder auch der Mensch im natürlichen Setting gewisse Sachen isst und andere nicht.

Was ich hingegen nicht blind befolge, sind viele offizielle Empfehlungen. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigte leider oft, dass diese entweder nicht der fachlichen Evidenz entsprechen oder der Evolution widersprechen. Und auf meinem Teller sucht man hochverarbeitete Produkte wie Margarine, Cornflakes, Süssgetränke oder pflanzliche Fleischalternativen vergebens. Ich bleibe lieber bei echten Lebensmitteln.

Achten Sie bei der Auswahl von Lebensmitteln auf ihren Verarbeitungsgrad (z.B. low, non-processed food)?

Auf jeden Fall. Die übermässige Verarbeitung kann Lebensmittel in Produkte überführen, die nichts mehr mit dem ursprünglichen Lebensmittel zu tun haben. Weshalb der Verarbeitungsgrad noch nicht zum integralen Bestandteil aller Empfehlungen in Bereiche der Ernährung geworden ist, kann ich nur schwerlich verstehen. Denn der Verarbeitungsgrad hat im Schnellzugstempo die Leiter der problematischen Ernährungsaspekte erklommen.

Gemäss nationaler Verzehrsstudie erreichen sehr viele Erwachsene in der Schweiz bei einem Vitamin oder Mineralstoff die empfohlene Zufuhr nicht. Ergänzen Sie Ihre Ernährung mit Supplementen (z. B. Vitamin D, Eisen, Multivitaminpräparat oder anderes)?

Ich habe ein Multivitaminmineralstoffpräparat und auch ein Präparat mit EPA und DHA im Schrank. Aber ich nehme diese Präparate alles andere als regelmässig ein. Durch den Verzicht auf stark verarbeitete Lebensmittel und meinem Fokus auf Lebensmittel in ihrer möglichst ursprünglichen Form, gekoppelt an täglichen – ok, fast täglichen – körperlichen Aktivitäten, ist bisher mein Stoffwechsel und mein Körper gut über die Runden gekommen.

Neben Ernährung werden auch Schlaf, Bewegung, ausreichende Erholung, soziale Vernetzung und anderes als gesundheitsfördernde Lebensstilfaktoren diskutiert. Was davon gelingt Ihnen besonders gut?

An erster Stelle zweifelsfrei das Nichtrauchen. Auch die körperliche Aktivität klappt ganz gut. Vier- bis fünfmal die Woche steige ich auf mein Gravelbike und reize dabei periodisch, aber nicht ständig, die Grenzen meines Stoffwechsels aus. Und sicher dreimal in der Woche bin ich mehrmals täglich mit unserer Hundedame zu Fuss unterwegs. Dann komme ich locker auf 10 000 Schritte pro Tag.

Wenn Sie über Ihre Zeit frei verfügen könnten, was würden Sie tun?

Ich verfüge bereits jetzt über meine Zeit. Deswegen ist es bei mir schwierig, nachmittags ein Termin zu organisieren. Dann bin ich oft draussen unterwegs. Aber wenn ich so richtig im Lotto gewinnen würde, bei einer Wahrscheinlichkeit von 1-zu-30 Millionen, dann würde ich… es mir erst dann überlegen. Spekulationen und was-wäre-wenn sind nicht mein Ding.

Beitragsbild: © Paolo Colombani